Romantische Institutionen
12. November 2009
Arbeitstreffen der Forschungsstelle Kulturtheorie
Exposé
Das Arbeitsgespräch wird die Verflochtenheit und Trennungsgeschichte von Recht und Literatur im 19. Jahrhundert mit Blick auf folgende Bereiche thematisieren:
- Disziplinen: Germanisten waren im frühen 19. Jahrhundert Vertreter einer sich auf germanische Traditionen berufenden Rechtslehre, in teilweise polemisch-nationalistischer Abgrenzung von den 'Romanisten' und der römisch-französischen Rechtstradition. Der Begriff 'Germanistik' markiert in seiner Frühzeit also eine Überlappungszone zwischen Rechtsgeschichte und entstehender Nationalphilologie. Hinzu kommt, dass einige der bedeutendsten romantischen Dichter im Lern- oder Hauptberuf Juristen waren und die Symbiose der Disziplinen wie auch die Spannungen zwischen beiden in ihrer eigenen Existenz austragen.
- Narrative: Die Idee, dass das ‚germanische’ Recht auf Herkommen, Sitte, auf organischer Gemeinschaft statt auf rationaler Vertraglichkeit usw. beruhte, erzeugte einen großen Bedarf an entsprechenden Ursprungs- und Herkommensnarrativen. Die Mittelaltermode der Romantiker hat hier auch eine rechtsgeschichtliche Komponente: Es ging darum, jene ‚altdeutschen’ Verhältnisse überhaupt erst retrofiktional zu erzeugen, auf die sich die Idee eines genuin deutschen Rechts stützen konnte. (Besonders relevant für diesen Zusammenhang ist die Wirksamkeit der Brüder Grimm, die ja auf beiden Feldern tätig waren. Man kann sogar die Märchensammlung der Brüder Grimm in den Kontext der politischen Frage rücken, was es heißt, ‚dem Volk eine Stimme zu geben’ und welche Zwischenschritte der Vermittlung, Übersetzung, Purifikation und Erziehung dafür notwendig sind.)
- Institution: Eine wichtige und wohl noch nicht hinreichend durchdrungene Frage betrifft das Verhältnis zwischen romantischem Denken einerseits und den institutionellen Entwicklungen in Deutschland seit 1800 andererseits. Man könnte hier möglicherweise von einem Paradox sprechen: Das Denken der Romantiker transportiert einen stark individualistischen und anti-institutionellen Impuls und steht bekanntlich unter dem Verdacht, rein okkasionalistisch auf die unendliche Vervielfachung von Kommunikationsanlässen abzuzielen, ohne zu einer entschiedenen Form zu gelangen. Zugleich ist aber die Zeit seit 1806 (Zusammenbruch Preußens, Auflösung des Deutschen Reiches) gerade eine Epoche von Institutionenbildung und -reform, die nicht zuletzt von Romantikern getragen wurde. Das gilt exemplarisch für die Berliner Universität, aber auch auf vielen anderen Gebieten im Prozess der Erneuerung Preußens. Nicht zuletzt ist der Traum von der deutschen Nation und wohl auch derjenige vom preußischen Staat ein zutiefst romantischer Traum. Zu fragen wäre also, wie ‚romantisch’ Preußen auch dort war, wo man Romantik auf den ersten Blick nicht vermuten würde – in der Administration (vor allem der Beamtenschaft), im Rechtswesen, in der Ökonomie, in der (Wieder)Herstellung autoritärer und militaristischer Staatlichkeit.
- Strategien: Im Blick auf den so genannten Kodifikationsstreit zwischen Anton Friedrich Justus Thibaut und Friedrich Carl von Savigny von 1814 lässt sich das bisher Genannte noch aus einer weiteren Perspektive behandeln. Auf der einen Seite tritt Thibaut, der die Auffassung einer organischen Rechtsentwicklung ablehnt, für ein positiviertes Naturrecht in Form eines allgemein verständlichen Gesetzbuchs für den gesamten deutschsprachigen Raum ein, das der mündige Bürger aufgrund klarer Kodifizierung ohne Zuhilfenahme von Experten in Anspruch nehmen könne. Auf der anderen Seite argumentiert Savigny für ein organisch wachsendes Recht und seine stets zu perfektionierende Interpretation durch Spezialisten. Gemäß einer ständig bemühten Analogie zur Sprache sei das Recht in ununterbrochener Bildung und Entwicklung begriffen und entziehe sich daher, jedenfalls hier und jetzt noch, der Vereinheitlichung und Systematisierung. Zu fragen wäre hier, ob sich dieses Plädoyer für ein unbestimmtes, lokal differenziertes Recht nicht auch als strategischer Einsatz in einer Zeit der Neuordnung des alten Reichs verstehen lässt. Mit der Konstruktion des Rechts als Arkanum wird ja ein Bedarf an Experten allererst geschaffen, den dann die neue Disziplin ‚Historische Rechtswissenschaft’, etwa an der Berliner Universität, zu befriedigen hat. Ebenso wäre nach dem Verhältnis der Rechtsauffassung zum imaginierten Volk und der Rolle des gebildeten Romantikers als seines Interpreten zu fragen. Und schließlich: Kann der Kodifikationsstreit als eine Art Wiedereintritt konfessioneller Unterscheidungen in den politischen Raum verstanden werden – als eine Kontroverse, in der das sola-scriptura-Prinzip und die Unmittelbarkeit des Bürgers zum Recht bzw. zu Gott sich gegen die Auffassung von der Unverzichtbarkeit vermittelnder Instanzen stellt?
- Ironie: Von besonderem Interesse könnte schließlich die Frage sein, wie sich das romantische Prinzip der Ironie zu Institutionalisierungsprozessen verhält. Spontan würde man denken, dass Staatsbeamtentum und Ironieprinzip nichts miteinander zu tun haben können. Aber gibt es nicht – möglicherweise aus protestantisch-pietistischen Quellen gespeist – die Idee einer inneren Unabhängigkeit auch des Staatsdieners, der die Grundlagen seiner eigenen Existenz radikal in Zweifel zu ziehen vermag? Welche Institutionengeschichte durchläuft Ironie?
Teilnehmer
- Prof. Dr. Andreas v. Arnauld
- Thomas Bäumler M.A.
- Dr. Dr. Johannes Harnischfeger
- Prof. Dr. Albrecht Koschorke
- Christian Lück M.A.
- Prof. Dr. Philip Manow
- Stefan Martini
- Prof. Dr. Ethel Matala de Mazza
- Prof. Dr. Christoph Möllers
- Dr. Charlton Payne
- Emmanuel Prokob
- Prof. Dr. Hans Christian Röhl
- Prof. Dr. Christoph Schönberger
- Dr. Carlo Spoerhase
- Dr. Fabian Steinhauer
- Prof. Dr. Andreas Thier
- PD Dr. Marcus Twellmann
- Prof. Dr. Thomas Weitin
12.-13. November 2009, 15 Uhr s.t.
Universität Konstanz, K 07
Kontakt
Dr. Marcus Twellmann
E-Mail: marcus.twellmann[at]uni-konstanz.de
- Dateien:
Romantische-Institutionen-Programm.pdf233 Ki